Zug Nr. 92IJ - Waggon Lux
Wir präsentieren ihm unsere Bilets. Obwohl es sich um Fahrkarten handelt, die in Moskau (von Olivers Eisenbahner-Bekannten) beschafft wurden, verwirren sie unseren Provodnik zuerst. Die Platzreservierungen gelten schon ab Moskau (Kasaner Bahnhof), die Fahrkarten als solche sind ab Gorki ausgestellt. Zudem will Oliver gleich noch geklärt sehen, dass er ein ganzes Abteil für sich als "Single" gebucht hat, was den Waggonbegleiter vollends durcheinander bringt. Er blättert zwei Minuten in den Fahrkarten herum (jede von ihnen besteht aus mehreren Blättern) und winkt schließlich ab: "Steigt ein", sagt er zu uns, "Das schau ich mir später in Ruhe an". Und schon schleppen wir unsere Rucksäcke im Gänsemarsch den Gang entlang und belegen unsere Abteile.
Noch während wir uns im Gang umschauen, spricht uns eine Frau an. "Ihr seid doch die anderen Volontäre, ich erkenne es an euren T-Shirts." Das ist also Olga, unsere bisher noch fehlende deutsche Teilnehmerin. Später lernen wir sie beim abendlichen Zusammensitzen noch näher kennen.
Später sitzen wir zusammen und teilen unsere Vorräte. Leider war unsere eilige Einkauftour auf dem Bahnhofsvorplatz von Nischni Nowgorod nicht sehr ergiebig. Dafür schleppt Olga eine riesige Reisetasche nur mit Nahrungsmitteln an. Sie hatte in Moskau einen Zwischenstop bei ihrer Verwandtschaft eingelegt. Dort hatte ihr Schwager, offensichtlich ein Moskauer Neureicher, ihr einen Riesenvorrat an Proviant mitgegeben, wofür sie extra eine neue Reisetasche kaufen mussten. Sogar italienischer Schinken war dabei.
Olga ist russlanddeutscher Abstammung und lebt in Heidelberg, wo sie an einer wissenschaftlichen Stiftung an Themen der Genetik forscht. Sie ist promovierte Biologin. Sie erwies sich als sehr kommunikativ - andere würden es schwatzhaft nennen und dominiert mit ihrer etwas egozentrischen Art häufig die Unterhaltungen in der Gruppe. Oliver wird mich später Fragen ob mir das nicht auch auf die Nerven geht. Nun gut - jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Wir werden uns als Gruppe daran messen, wie gut wir miteinander klar kommen werden. Ich nahm mir vor, mir nicht zu schnell ein Urteil zu bilden.
Mit unseren Provodniks, einem Ehepaar, dessen männlichen Part wir bereits kennen gelernt hatten, schlossen wir schon bald Freundschaft - vor allem Olga, die eine Verbundenheit mit Tanja, der Provodnitza entwickelte, da diese auch wolgadeutscher Abstammung war und schnell mit ihr ein Herz und eine Seele war.